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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.10.1999
Aktenzeichen: 1 ObOWi 505/99
Rechtsgebiete: StVG, OwiG, StPO


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 2 a
OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 79 Abs. 5 Satz 1
OWiG § 73
OWiG § 77b Abs. 2
OWiG § 74
StPO § 275 Abs. 1 Satz 1
StPO § 275 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BayObLG

Beschluß

18.10.1999

1 ObOWi 505/99

Der 1. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Schmidt sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Sihler und Wannemacher am 18. Oktober 1999 in dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit nach Anhörung der Staatsanwaltschaft beschlossen:

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 22. März 1999 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht Traunstein zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Verwaltungsbehörde hat mit Bußgeldbescheid vom 22. 12. 1998 gegen den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 300 DM festgesetzt und zugleich ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit dem Wahlrecht nach § 25 Abs. 2 a StVG angeordnet. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht durch Urteil vom 22. 3. 1999 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene, ohne von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden zu sein, der Hauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben sei. Hinsichtlich der vollständig in das Protokoll aufgenommenen Gründe enthält das Urteil keine Ausführungen zum Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen Rechts; er macht geltend, der Einspruch habe nicht verworfen werden dürfen, weil er am Terminstag wegen eines Tags zuvor erlittenen Unfalls nicht reisefähig gewesen sei und dies noch rechtzeitig vor dem Hauptverhandlungstermin geltend gemacht und einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt habe.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge Erfolg.

1. Nach dem vom Akteninhalt bestätigten Vorbringen des Betroffenen hatte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf Montag, den 22. 3. 1999, 14.30 Uhr bestimmt; der Betroffene war von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden worden.

Am 22. 3. 1999 gegen 9.15 Uhr hat der Verteidiger des Betroffenen die Geschäftsstelle des Amtsgerichts angerufen und mitgeteilt, der Betroffene habe am 21. 3. 1999 einen Unfall gehabt und sei daher nicht reisefähig. Nachdem sich der zuständige Richter mit dem Verteidiger telefonisch in Verbindung gesetzt hatte, hat der Verteidiger in einem um 13.20 Uhr desselben Tags eingegangenen Telefax nochmals die Verlegung des Termins beantragt, da der Betroffene am 21. 3. 1999 einen Unfall hatte, und darüber ein ärztliches Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vorgelegt, wonach der Betroffene heute aus gesundheitlichen Gründen wegen des Unfalls nicht reisefähig sei. Hinsichtlich des geltend gemachten Entschuldigungsgrundes hat das Amtsgericht Ermittlungen durchführen lassen.

Mit diesen Vorgängen und insbesondere dem geltend gemachten Entschuldigungsgrund hat sich das allein maßgebliche (siehe unten 2) protokollierte Urteil nicht befaßt. Dies stellt einen Verfahrensmangel dar, weil ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG grundsätzlich vollständig die Tatsachen, die als Entschuldigungsgründe vorgetragen worden sind, sowie die Erwägungen des Gerichts enthalten muß, die es veranlaßt haben, das Ausbleiben des Betroffenen dennoch nicht als genügend entschuldigt anzusehen. Das ist erforderlich, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter bei der Würdigung des Entschuldigungsvorbringens von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist (BayObLG VRS 61, 48; DAR 1987, 318 bei Bär; BayObLGSt 1996, 90/93; ständige Rechtsprechung des Senats; OLG Hamm DAR 1991, 394; Göhler OWiG 12. Aufl. § 74 Rn. 35, 38 d).

Die Neufassung der §§ 73, 74 OWiG durch das ÄndGOWiG vom 26. 1. 1998 (BGBl. I S. 156) hat hieran nichts geändert.

Hierauf könnte das Urteil dann nicht beruhen, wenn der vorgebrachte Entschuldigungsgrund offensichtlich ungeeignet gewesen wäre, das Fernbleiben des Betroffenen zu entschuldigen (BayObLG VRS 61, 48/49). Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

2. Das am 31. 3. 1999 vollständig als besondere Niederschrift (also mit Urteilskopf, Urteilssatz und Gründen) zu den Akten gebrachte Urteil (Bl. 25/27 d.A.), durch das die Verwerfung des Einspruchs im Einzelnen begründet wurde, ist unbeachtlich. Maßgebend ist allein das in das Protokoll vollständig aufgenommene Urteil, das vom Richter am 23. 3. 1999 unterschrieben worden war (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO). Mit dieser Aufnahme der (hier bereits vorformulierten) Urteilsgründe, die der Richter durch seine Unterschrift als richtig und vollständig bekundet hat, wird das im erstellten Protokoll festgehaltene Urteil die Urteilsurschrift (KMR-Müller StPO § 275 Rn. 4).

Nach § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG hat der Vorsitzende das Wahlrecht, ob das Urteil mit den Gründen als besondere Niederschrift zu den Akten zu bringen ist oder die Gründe in das Protokoll mit aufzunehmen sind (LR Gollwitzer StPO 24.Aufl. § 275 Rn. 20). Hat er sich für die Aufnahme des Urteils mit Gründen im Protokoll entschieden und eine im Protokoll aufgenommene Urteilsurschrift hergestellt, kann er nicht mehr die Form der eigenen Urteilsurkunde wählen (KMR aaO). Außerdem gebietet die Rechtsklarheit und -sicherheit, das zu Protokoll genommene Urteil als maßgeblich anzusehen (OLG Düsseldorf MDR 1982, 249/250). Ein Fall des § 77b Abs. 2 OWiG n.F. ist hier nicht gegeben.

Ob mit der Aufnahme des vollständigen Urteils in die Sitzungsniederschrift die protokollierten Urteilsgründe unabänderlich geworden sind (so OLG Düsseldorf aaO), oder ob sie noch innerhalb der Frist des §§ 275 Abs. 2 StPO ergänzt oder geändert werden dürfen, falls sie noch nicht erlassen, also noch nicht aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts hinausgegeben worden sind (so KMR aaO Rn. 5; LR aaO Rn. 22), brauchte der Senat nicht zu entscheiden, da die Ergänzung der Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht in das Protokoll aufgenommen worden ist.

III.

Hiernach ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Traunstein zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Die Entscheidung ergeht durch Beschluß nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.



Ende der Entscheidung

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